Der Besuch des Bundespräsidenten in der Lausitz im Rückblick und was die Gesellschaft jetzt und künftig zusammenhält.
„Wir leben in stürmischen Zeiten“. „Viele sind in unserem Land verunsichert.“ Das sind Sätze aus der ersten Antrittsrede des Bundespräsidenten vom 12. Februar 2017. Frank-Walter Steinmeier fragt damals schon, was ist eigentlich der Kitt, der unsere Gesellschaft im Kern zusammenhält?
Fast schon ein Goethe Spruch! Aber die Frage nach diesem Kitt und wie dieser zu bewahren ist und zu erneuern gilt, das ist es, was den Bundespräsidenten seit seiner Wahl umtreibt. Fortan etabliert er das Format der „Kaffeetafel kontrovers“, um mit mehr oder weniger zufällig ausgewählten Menschen in lockerer Runde ins Gespräch zu kommen.

Kaffeetafel kontrovers mit Senftenbergern und dem Bürgermeister von Senftenberg Andreas Pfeiffer (CDU). Zu Beginn noch in Anwesenheit der Presse.
Fünf Jahre später am 13. Februar 2022 nur wenige Tage vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine wird Herr Steinmeier wiedergewählt. Er beschwört in seiner Rede den Dialog und wendet sich direkt an den russischen Präsidenten Wladimir Putin. „Suchen Sie mit uns einen Weg, der Frieden in Europa bewahrt!“
Das Staatsoberhaupt zum Anfassen
Die Suche Putins war aber der militärische Sieg über die Ukraine. So dass in diesem Fall die Einladung von Herrn Steinmeier ins Leere lief. Aber die Menschen in Deutschland nehmen sein Angebot dankbar an. Mittlerweile gibt es nicht nur ein Kaffeekränzchen mit ihm, sondern drei Tage den Bundespräsidenten in der eigenen Stadt zum Anfassen. Das ist der Sinn der „Ortszeit Deutschland“. Nicht eine Sendung im Westdeutschen Rundfunk, sondern Tage auch für das Staatsoberhaupt, die er mit den Bürgerinnen dieses Landes verbringen kann – weg von Berlin und den üblichen Amtsgeschäften.
Seit 2022 hat er 14 solcher Reisen in alle Regionen Deutschlands unternommen. Die aktuelle Reise führt ihn in diesen Tagen nach Stadtallendorf in Mittelhessen, einer Stadt mit 22.000 Einwohnerinnen und damit vergleichbar mit der von Senftenberg. Dort weilte er vom 9. bis 11. Mai 2023.
Die See-Metropole in der Lausitz.
Bei seinem Besuch in Senftenberg hatte er den vorübergehenden Amtssitz in ein kleines Hotel mit Denkmal geschützter Fassade am Rande der Fußgängerzone verlegt. Lokale Medien und die Mund-zu-Mund Propaganda ließen immer wieder Menschen zum Hoteleingang kommen, um einen Brief oder Geschenk für den Bundespräsidenten zu übergeben. Das Sicherheitspersonal nahm es entgegen.
Eine Kaffeetafel mit 14 Bürgerinnen

Teilnehmende der Kaffeetafel im Parkhotel in Senftenberg im Rahmen der Ortszeit Deutschland vom 9. bis 11. Mai 2023
Die Gruppe, die am zweiten Besuchstag in Senftenberg zur Kaffeetafel kam, war bunt gemischt: Anhänger von der AfD bis zur Linken, Zugezogene, Geflüchtete, Handwerker, Kindergärtnerinnen oder Unternehmerinnen oder andere wie ich. Unter dem Eindruck des Krieges ging es sehr stark um die Frage, inwieweit Deutschland mit seiner finanziellen und militärischen Unterstützung für die Ukraine den Konflikt nur unnötig verlängere, da die Ukraine den Krieg gegen Russland sowieso nicht gewinnen kann. Es gab fast keine Stelle, wo Herr Steinmeier die Contenance verlor – außer bei dieser Behauptung. Er stellte außerdem klar, dass es die russische Regierung sei, die wiederholt gegen Abkommen verstoßen habe.
Neue Jobs sind nicht die alten
Aber ansonsten versuchte er mehr zuzuhören als zu reden. Da er mich nach meiner Einschätzung zur Situation in der Lausitz fragte, beschrieb ich, dass die neuen Arbeitsplätze, die hier mit finanzieller Hilfe der Bundesregierung entstünden, nicht diese seien, die durch den Umbruch wegfielen. Denn es entstehen Jobs für Studierte, für Ingenieurinnen, Mediziner und Techniker. Aber die Industriearbeitsplätze von früher sind das nicht und daher müssen Menschen eben doch wandern – von hier wegziehen und neu hierherziehen. Dadurch entstehe eine Unruhe.

Er hat das nicht kommentiert, weil gleich andere etwas ergänzten, was davon wegführte. Zum Ende fragte ich ihn zurück, was denn für ihn wichtig sei. Er sagte, dass er es schön fände, wenn dieses Format auch ohne ihn in Senftenberg fortbestehen könnte. Wenn also Bürgerinnen und Bürger aus ganz unterschiedlichen sozialen Schichten, ethnischen Herkünften und Berufs- und Altersgruppen sich treffen und respektvoll im Umgang miteinander diskutierten.
Gespräche sind das Gegengift
Es geht unserem Bundespräsidenten um den Austausch über alle Grenzen hinweg. Das ist dabei völlig klar geworden. Das ist seine Antwort auf die Frage von vor 8 Jahren. Der offene, umgänglich geführte Austausch ist der Kitt, der unsere Gesellschaft im Kern zusammenhält. Gespräche sind das Gegengift zu einem Zerbröseln der Gesellschaft. Sie können dort heilen, wo sich Gruppen verkapseln, in Nischen zurückziehen und den Austausch blockieren. Dann wirken sie als Gegengift gegen Spaltung und Feindschaft.
Der Dialog mit demokratischen Regeln geführt ist entscheidend für den inneren aber auch für den äußeren Frieden. In einer Zeit, in der Europa seit drei Jahren Krieg erlebt, die NATO als Schutzschild in Frage steht, braucht es mehr Zusammenhalt in Europa und vor allem auch innerhalb Deutschlands. Eine Gesellschaft, die innerlich auseinandertreibt, wird zur leichten Beute für den Angriff von außen – sei es medial oder militärisch. Dann ist der Kitt dahin.
Das gilt es zu verhindern.